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Interview: E-Mobilität erreicht den Massenmarkt nur mit mehr Überzeugungsarbeit und günstigeren Modellen
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Auf einen Blick
  • E-Mobilität wächst – aber unterschiedlich: Während Kunden im Premiumsegment zunehmend Elektrofahrzeuge nachfragen, bleibt im Volumenmarkt noch viel Überzeugungsarbeit nötig.
  • Herausforderungen im Massenmarkt: Preis, Ladeinfrastruktur und fehlende Aufklärung bremsen den Durchbruch – Händler sehen hier großen Handlungsbedarf.
  • Chancen & Wettbewerb: Deutsche Hersteller müssen mit attraktiven Modellen, klarer Kommunikation und enger Händlerkooperation gegen chinesische Herausforderer bestehen.

Während Kundinnen und Kunden von Premiummarken zunehmend Interesse an batteriegetriebenen Fahrzeuge zeigen, ist im Volumenmarkt noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Bain-Partner Dr. Eric Zayer, Leiter der Praxisgruppe Automotive & Mobilität in EMEA, und Dr. Ingo Stein, Practice Director Automotive & Mobilität, erläutern, wo die größten Chancen liegen, welche Rolle der Handel spielt und warum die westlichen PKW-Hersteller chinesische Herausforderer sehr ernst nehmen müssen.

Die aktuelle Bain-Befragung unter 250 deutschen Autohändlern offenbart ein wachsendes Interesse an Elektroautos. Wie bewerten Sie die Entwicklung?

Zayer: Der deutsche Automobilmarkt steht tatsächlich an einem Wendepunkt. Rund 42 Prozent der Autohäuser berichten mittlerweile von einem hohen Interesse an Elektrofahrzeugen. Besonders im Premiumsegment ist die Dynamik stark: Dort interessieren sich über 50 Prozent für ein Elektroauto. Damit übersteigt die Nachfrage nach E-Fahrzeugen inzwischen die nach anderen Antriebsarten. Das zeigt, dass auch private Kundinnen und Kunden zunehmend bereit sind, den Schritt hin zur E-Mobilität zu gehen.

Warum ist das Premiumsegment so viel weiter als der Volumenmarkt?

Zayer: Zum einen verfügen Kundinnen und Kunden von Premiummarken häufiger über die Möglichkeit, zu Hause zu laden – das bedeutet komfortables und auch günstiges Laden. Zum anderen sind sie eher bereit und in der Lage, höhere Preise für neue Technologien zu bezahlen.

Stein: Im Volumenmarkt hingegen sind die Vorbehalte noch deutlich größer. Viele Kundinnen und Kunden sind preisbewusster und haben oft keine private Lademöglichkeit. Ohne erschwinglichere Modelle und eine bessere Ladeinfrastruktur wird es schwierig, diese Zielgruppe zu gewinnen. Entsprechend trauen sich nur etwas mehr als 10 Prozent der Händler zu, Unentschlossene vom Elektroauto zu überzeugen – im Premiummarkt sind es dagegen über 60 Prozent. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf, denn eine Elektrifizierung ohne das Volumensegment und die breite Mitte der Gesellschaft wird nicht gelingen.

Welche Rolle spielt das Fahrerlebnis?

Zayer: Eine sehr große. Viele Interessierte entscheiden sich weniger aus ökologischen Gründen für ein E-Auto, sondern wegen des modernen Fahrerlebnisses: Infotainment auf dem neuesten Stand, beeindruckende Beschleunigung, agiles Handling. Unser Fazit lautet daher: Das beste Argument für ein Elektroauto ist die Probefahrt. Händler und Hersteller sollten dieses Angebot noch stärker nutzen, um skeptische Kundinnen und Kunden zu überzeugen.

Stein: Die Vorteile des elektrischen Fahrens müssen viel breiter und besser erklärt werden. Häufig dominieren negative Stimmen – aber moderne Elektrofahrzeuge bieten zunehmend überlegene Fahrleistungen, die die Kundschaft begeistern werden. Hier ist Aufklärungs- und Kommunikationsarbeit zu leisten!

Händler sehen auch Herausforderungen – welche sind derzeit die größten?

Stein: Im Massenmarkt sind es ganz klar die Kosten. Knapp 70 Prozent der Händler nennen den Preisaufschlag als Haupthindernis. Hinzu kommen Unsicherheiten bezüglich Reichweite und Ladeinfrastruktur. Viele Kundinnen und Kunden haben ein überholtes Bild von den tatsächlichen Reichweiten moderner Fahrzeuge. Hier sind mehr Aufklärung und Transparenz gefragt – sowohl von den Herstellern als auch von der Politik.

Wie schätzen Sie den Wettbewerb durch chinesische Hersteller ein?

Zayer: Die Händler erwarten, dass chinesische Marken bis 2030 rund 12 Prozent Marktanteil in Deutschland erreichen. Die Händler glauben, dass chinesische Fahrzeuge derzeit mit attraktiven Preisen, hoher Reichweite und moderner Konnektivität punkten können – auch wenn in der Realität die Fahrzeuge eine sehr heterogene Performance zeigen. Gerade neue westliche Fahrzeuge können hier durchaus mithalten und auch wieder eigene Akzente setzen. Zudem hemmen derzeit noch ein dünnes Händler- und Werkstattnetz sowie geringeres Markenprestige den Erfolg der neuen Marktteilnehmer. Doch deutsche Hersteller dürfen sich darauf nicht verlassen. Sie müssen ihre Stärken – Markenbekanntheit, Emotionalität, ein starkes Händler- und Servicenetz – offensiver ausspielen.

Welche Empfehlungen ergeben sich daraus für die deutschen Hersteller?

Stein: Da stehen vier Maßnahmen besonders im Fokus.

  • Erstens: ein enger Schulterschluss mit dem Handel.
  • Zweitens: gezielte Informationskampagnen, um Missverständnisse zu Reichweite und Ladeinfrastruktur auszuräumen.
  • Drittens: ein breiteres Modellportfolio, das auch kostengünstigere Fahrzeuge umfasst.
  • Und viertens: eine engere Zusammenarbeit mit der Politik, um Hemmnisse beim Laden in Mehrfamilienhäusern oder am Arbeitsplatz zu beseitigen.

Nur so lässt sich die E-Mobilität in der Breite durchsetzen.

Was bedeutet das für die kommenden Jahre?

Zayer: Wir werden eine längere Übergangsphase sehen, in der auch Plug-in-Hybride oder auch batteriebetriebene Fahrzeuge mit Range Extender eine Rolle spielen. Aber der Trend ist eindeutig: Die Zukunft gehört der Elektrifizierung. Die aktuelle E-Modell-Offensive der deutschen Hersteller kommt genau zur richtigen Zeit. Zusammen mit dem Handel können sie die Marktchancen nutzen und ihre starke Position langfristig sichern.

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